Toni Innauer

Es reißen zu viele Bänder, es braucht „disruptive“ Innovationen

Es reißen zu viele Bänder, es braucht „disruptive“ Innovationen

Foto: Clemens Fabry

 

Vor neun Jahren habe ich in „Am Puls des Erfolgs“ meine Empörung über die endlosen Verletzungsserien im alpinen Skirennlauf zu Papier gebracht. Es herrschte gespenstisches Einvernehmen darüber, dass es sich bei den Verletzungen um eine unabänderliche, von den handelnden Personen nicht beeinflussbare Schicksalshaftigkeit handelt. Zusätzliche Beklemmung verursachte das Beobachten des „Kollateralnutzens“ der Stürze zur Betonung und Vermarktung von Skirennen als hochriskante, „wahre Abenteuer“ der Menschheit.

Meine Analyse hat mich bei manchen vorübergehend zum Feindbild gemacht. Heute und mit Blick auf die aktuelle Schreckensbilanz im ÖSV-Damenlager weiß ich, dass ich mir den Gegenwind damals genauso gut hätte sparen können. Es hat sich nämlich nichts Substanzielles geändert in neun langen Jahren, und das ist ein erschütternder Befund. Dieses Gefühl mischt sich mit bitterer Ohnmacht, nicht einmal jene Athletinnen, die wir als Agentur neben der Piste begleiten, vor dem allgegenwärtigen Risiko behüten zu können.

Der Schutz der SportlerInnen und eine deutlich wahrnehmbare Entspannung der krankhaften Situation ist längst überfällig. Es darf nicht wahr sein, dass sich eine aufgeklärte Gesellschaft an diese perverse Häufung von schweren Sportunfällen gewöhnt hat. Es braucht eine radikale und prinzipielle Veränderung, die eine neue, sicherere Zeitrechnung einläutet! Der Ansatz dazu kann aber nur aus dem Sport selber, aus dem Zentrum der Renn-Experten kommen und muss beim Material ansetzen. Die Bemühungen, Muskeln und Bänder an die gestiegenen Belastungen anzupassen, sind, vor allem bei den Damen, gescheitert.

Das Auslagern/Outsourcen von Verantwortung an externe Gremien und Institutionen fühlt sich zwar gut an, funktioniert aber nicht. Diejenigen, die wissen und täglich daran arbeiten, wie die Kanten scharf, der Schwung schnell, Beine und Rücken stark gemacht werden, würden der Sache verlässlich näherrücken, wenn sie die Zeit und den klaren Auftrag dafür hätten. Diese Profis ahnen garantiert, wo nach radikalen Änderungen und damit auch (Er-)Lösungen zu suchen wäre. Viele wissen noch, wie das Material beschaffen war, als Kreuzbandrisse noch nicht selbstverständlich zur Rennsport-Biografie gehörten. Wissenschafter könnten die Ideen theoretisch absichern, die Bosse, Manager und Lobbyisten müssten dann nur noch Allianzen für die sportpolitische Umsetzung schmieden wollen.

Und da liegt der Hase im Pfeffer: Eine bahnbrechende bzw. disruptive Innovation kann nur in einem Milieu gegenseitigen Vertrauens und durch geänderte Anreize entstehen.
Nationales und nationalistisches Vorteilsdenken verschleiert die übergreifende Problematik und weist die Verantwortung, so wie beim Klimawandel oder der Migrationsbewegung, „den anderen“, der EU oder im sportlichen Fall der FIS zu. Mit diesem Modell lassen sich in der Politik Wahlen und im Schnee weiterhin Rennen gewinnen, aber die Probleme existieren weiter. Sie können nur in gemeinsamer Anstrengung und Verantwortung angepackt werden.

Klassische konkurrenz-orientierte Arbeitsbedingungen fördern das Gegenteil von „großen Würfen“. Christoph KEESE verweist in seinem Bestseller „Silicon Valley“ auf die Innovationsfähigkeit und die Kreativkultur ebendort: „Innovation entsteht durch den freien, ungehemmten Austausch von Menschen auf kleinstem Raum … Menschen werden kreativ, wenn sie beruflich so arbeiten dürfen, wie sie privat leben: eng verwoben, in freundschaftlichem Abstand, im ständigen Dialog, im freien Spiel der Ideen …“
Die Verletzungsproblematik betrifft alle und ist so belastend, dass ÖSV, SwissSki, DSV usw. gemeinsam nach Lösungen forschen und die Ergebnisse dann an die FIS herantragen sollten. Weil aber jeder, und vor allem die Erfolgreichsten, ihre Geheimnisse und Vorteilchen wahren möchten und Schiss vor einer Verschiebung der Rangordnung haben, passiert nur Halbherziges. Man möchte schließlich nicht die Konkurrenz stark machen.

Wie wäre es, den Spieß umzudrehen, z. B. mit einem hochdotierten Wettbewerb der FIS oder vorausdenkender Sportminister für den besten Lösungsvorschlag einer internationalen Expertengruppe? Das Geld wäre bestens in das Vertrauen der Eltern und in den Nachwuchs investiert.

 

Ihr Toni Innauer

 

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2 thoughts on “Es reißen zu viele Bänder, es braucht „disruptive“ Innovationen

  1. Karlheinz Pils

    Sehr geehrter Herr Innauer!
    Mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel über die grenzwertigen körperlichen Belastungen im Spitzensport nicht nur auf seinen Inhalt bezogen, sondern auch Ihre sprachliche Ausdrucksform hin gelesen. Für mich greifen Sie als Sport(ler)manager einen in sich isolierten Aspekt auf, der wie viele andere Mosaiksteine in das ganze Spektrum gesellschaftlicher Fehlentwicklungen passt.
    Als uns vor vielen Jahren das Ozonloch oder der saure Regen, der auf unsere Wälder niederprasselte, als riesige Katastrophen erschienen, begann man erstmals darüber nachzudenken, dass unser Planet sensibler auf Veränderungen reagiert, als wir bis dahin angenommen hatten. Dann merkte man, dass der Gletscherschwund nicht nur mit feinsten technischen Hilfsmitteln, sondern mit freiem Auge sichtbar wurde. Was sich klimatisch seither veränderte, wissen wir alle. Und es ist nicht 5 nach 12, sondern für eine wirksame Trendumkehr sicher zu spät, weil sich die vermeintlich Mächtigen dieser Welt bei diversen Klimakonferenzen auf Minimalkonsense und-ziele einigen, von denen bis dato noch keiner/keines erreicht oder eingehalten wurde.
    Dasselbe, nicht minder dramatisch, wenn es um die Verteilung von Ressourcen oder Wohlstand geht. Als um die Jahrtausendwende und wenige Jahre danach die beiden großen Finanzkrisen die Weltwirtschaft fast in den Abgrund rissen, viele kleine Sparer ihr halbes oder gar ganzes, beharrlich erspartes Vermögen verloren und man kurzfristig dachte, aus dem Schwarzen Loch gar nicht mehr herauszukommen, schien man kurz geläutert und ergriff alle möglichen Maßnahmen, um derartige Szenarien in Zukunft zu vermeiden. Diese Maßnahmen lassen sich aber darauf reduzieren, dass man Banken Milliarden in ihren Allerwertesten schob, die zuvor einige wenige ihrem ohnehin schon unermesslichen Vermögen hinzugefügt hatten. Ganz nach dem Motto: „Gewinne werden privatisiert, Schulden verstaatlicht.“
    Rückblickend muss man ernüchternd feststellen, dass man nichts dazugelernt hat. Es geht munter in der gleichen Tonart weiter. Unser Handeln lässt sich mit den wenigen Begriffen «Immer mehr» und «Gier» beschreiben. Oder hat es schon irgendein Politiker oder Wirtschaftsboss über die Lippen gebracht, dass es längst überfällig ist, vom Gas runter zu gehen und endlich Strategien zu entwickeln, wonach ein maßvolles Zurückrudern nicht gleich Hand in Hand mit desaströsen Auswirkungen durch Stagnation oder gar Rezession gehen muss. Unsere Wirtschaft und der ganze Strudel, in dem wir gefangen sind und den wir selbst heraufbeschworen haben, vergleiche ich gerne mit einem Formel 1-Motor, der mit 18.000 Umdrehungen läuft. Schon der kleinste Drehzahlverlust bedeutet das Verlassen des geheiligten Wachstumspfades.
    In diesem Spannungsfeld betrachte ich auch die Entwicklungen im Spitzensport. Sehen wir es nüchtern, dem Veranstalter des Hahnenkammrennens wäre es doch höchst willkommen, würde der Streckenrekord von Fritz Strobl verbessert werden. Je größer das Spektakel, umso mehr Geld wird beim Umsatz/Gewinn der Ausrichter und Vermarkter des Events und den Gagen der Sportler lukriert. Diese sind die modernen Gladiatoren, die im Jetzt und Hier das nach Höchstleistungen kreischende Publikum mit Bier und Prosecco in der Hand unterhalten dürfen. Da nimmt man auch in Kauf, dass der eine oder andere (z.B. Grugger, Albrecht…) einen höheren Preis zahlen muss.
    Sie, Herr Innauer, legen Ihren Fokus auf eine immer größer werdende Anzahl von Bänderverletzungen, die es zu bekämpfen gilt. In anderen Sportarten (um im Schneesportbereich zu bleiben), die den Bewegungsapparat etwas weniger, aber dafür das physiologische System ausreizen, wie zB. Langlauf, geht man auch über die Grenzen. Wie die dort gezeigten Leistungen trotz modernster Trainingsmethoden, bester Ernährung, feinster Lauftechnik und fortschrittlichsten Materials möglich sind, frage ich mich seit Langem. Für mich ist die absolute Spitze jeglichen Hochleistungssports nicht sauber. Glücklicherweise gibt es Leute wie Hajo Seppelt, die mE. der Öffentlichkeit einen seriösen, kritischen Blick hinter die Kulissen des Sports, seiner Verbände und Sponsoren ermöglichen. Unterm Strich kann das Urteil nur lauten, dass jene, die die Fäden ziehen, selten zu den Guten zu zählen sind. Der Sportler verkommt in diesem Business zur meist schlecht, manchmal überbezahlten Marionette, die man mit Geld und der Aussicht auf Ruhm und Ehre auspresst wie eine Zitrone. Am sportlichen und/oder körperlichen Ende angelangt gibt‘s ja genug hungrigen Nachwuchs, der offene Lücken schnell und willig schließt und uU. manchmal recht schnell geneigt ist, auf den Pfaden der großen Vorbilder den Leitsatz „By fair means“ durch „By all means“ zu ersetzen.
    Die Richtung, in die der Spitzensport gedrängt wird, und das daraus resultierende Bild sind somit nur ein Widerspiegeln einer sich moralisch und ethisch rasant rückwärts entwickelnden Gesellschaft. Die in Ihrem Artikel zitierte aufgeklärte Gesellschaft wähne ich als zunehmend überschaubare Gruppe von Menschen. Schade!
    MfG

  2. Klaus Angerer

    Lieber Toni Innauer,

    danke für deinen Beitrag – du hast es auf den Punkt gebracht.
    In anderen Sportarten wird ständig an der Verbesserung der Sicherheit (nicht nur durch Sturzräume oder Netze) gearbeitet. Siehe Formel 1. Neben den Strecken sind – wie im Skilauf – Fangsysteme angebracht. Dennoch wird dort ständig an der Sicherheit der Fahrzeuge für den Piloten gearbeitet. Nicht umsonst ist die Zahl der tödlichen Unfälle im Automobilsport permanent rückläufig.

    Anders als beim Skisport treten dort aber Teams gegeneinander an und nicht Nationen. Somit fällt schon mal der „Nationalismus“ als Triebfeder des Tuns weg. Und: die FIA bestimmt die Regeln an die sich die Teams zu halten haben. Das ist wieder gleich wie beim Skisport. Soweit es von außen ersichtlich ist, haben aber gerade bei der FIS die nationalen Verbände ein großes Mitspracherecht, nichts geht ohne die „großen“ Skinationen.

    Es ist zuviel Geld im Spiel, zuviel Abhängigkeit von Sponsorgeldern, zuviel Egoismus um hier sachlich gerechtfertigte und sinnvolle Lösungen im Sinne der Sportler zu finden.
    Mit großer Sicherheit – und wie auch in deinem Blog kurz angesprochen – werden viele Eltern ihre Kinder NICHT in den Rennsport schicken, weil neben der finanziellen Belastung auch das körperliche Risiko zu hoch ist.

    Ich selber bin staatlicher SkiInstruktor, war in jungen Jahren bei ein paar lokalen Rennen am Start. Derzeit bin ich (natürlich neben dem Beruf) im österreichischen Nationalteam – aber in einer augenscheinlich viel gefährlicheren Sportart – motorisiertes Gleitschirmfliegen. Tatsächlich passieren dort aber wenige und vor allem wenig schwere Unfälle. Warum? Weil dort Sicherheit in der Konstruktion von Fluggeräten die wichtigste Eigenschaft für die meisten Piloten ist. Ein derartiger Ansatz müsste auch bei den Skiherstellern Platz greifen.

    mit freundlichem Gruß
    Klaus Angerer
    FAI-Vize-Europameister 2017
    Paramotor Doppelsitzer

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