Toni Innauer

Mao dun (Land der Gegensätze)

Mao dun (Land der Gegensätze)

Knapp zwei Wochen lang darf ich für das ZDF aus Zhangjiakou, von den olympischen Skisprungwettkämpfen berichten. Keine Lustreise, mehr ein Trip in eine sterile Welt mit doppeltem digitalen Boden, bei sieben Stunden Zeitunterschied und minus 20°.

Ich fühle mich, mit drei Handys bestückt, wie vor einer e-Sport-WM! Die Sorge, inmitten aller Daten, Termine, Tests, Passwörter, Zugangsdaten und Verhaltensempfehlungen etwas zu übersehen, oder gar positiv zu sein, wächst mit jedem Schrieb und Tag. Selbst meinesgleichen Reiseprofis spüren Unsicherheit und Anspannung. Es wuchern Mutmaßungen, verunsichernde Erzählungen, Ängste und „Räuberpistolen“ zu dem, was uns im Reich der Mitte erwarten könnte.

Kai Strittmatters „Gebrauchsanweisung für China“ ist mein persönlicher Rettungsanker im virtuellen Luan (Chaos), sowas wie Chi (Glück) oder Ersatzdroge in analog gebundener Form. Das geistreiche Buch verwandelt Voreingenommenheit in Neugier, lässt den Leser Eintauchen in all das, was wir im olympischen Kosmos sicher nicht erleben werden. Ein Lustmacher und Augenöffner von besonderer Qualität und Klasse (Su zhi auf chinesisch). Eine opulente Fülle an originellen Kapiteln und Geschichten zeigt, dass jedes extreme Vorurteil über China zutrifft, das genaue Gegenteil davon aber jederzeit auch bewiesen werden kann.

Vieles ist einzigartig in dem Riesenland, manches auch Jia, gefälscht oder abgekupfert: Von den Titeln auf den so beliebten Ming pian, den Visitenkarten bis zur Kopie der Hallstätter Altstadt in Guangdong.

Sogar die futuristische olympische Sprunganlage gibt es im Doppelpack. Ein detailgetreuer Klon steht in der Nähe von Peking, neben der Anlage ein Windkanal von beeindruckenden Ausmaßen. Wird China das Skispringen also demnächst dominieren wie das Wasserspringen? Bedroht Huang huo, die gelbe Gefahr, die europäisch-japanische Lufthoheit?

Skispringen hat sich zur gläsernen, leichter erlernbaren Sportart entwickelt, die Schanzen sind durchgenormt und trainiert wird nachvollziehbar systematisch. Vorsicht, China mit seinem Talente-Reservoire, könnte in relativ kurzer Zeit schon zur Wachablöse blasen!

Mit den Rieseninvestitionen ist zumindest Shi (ein Anfang) gemacht. Die Chinesen haben einen Skisprung-Star-Trainer nach dem anderen geheuert, um ihn dann, wie Mika Kojonkoski in der Olympiasaison, verwunderlicherweise wieder zu feuern.

„Wenn du es eilig hast, dann mache einen Umweg,“ riet Konfuzius. „China verwirrt, darauf sollte man sich gefasst machen!“, meint Strittmatter.

Vor den Spielen kümmern Themen wie Skispringen oder Menschenrechte den Durchschnitts-Chinesen jedenfalls genauso wenig, wie jenes sprichwörtliche Paar Ski, das am Hafelekar umfallen könnte.

Ihr Toni Innauer

Foto: Toni Innauer privat

2 thoughts on “Mao dun (Land der Gegensätze)

  1. H. Sauer

    Hallo Herr Innauer! Ich vermisse Sie im ZDF! Haben Sie etwa zu viel Kritik geäußert nach dem verkorksten Mixed-Team und wurden deshalb aus dem TV-Programm „entfernt“? Ich hoffe, es geht Ihnen gut und alles ist OK. Bleiben Sie bitte gesund und erhalten Sie sich Ihren kritischen Geist. Viele Grüße.

  2. Gerhard Hintersteiner

    Herr Toni Innauer ist und bleibt für mich einer der kompetentesten im Sport.
    Ich hatte das Glück, in des Öfteren zu treffen, und den einen oder anderen Vortrag von Ihm zu hören.
    Alles Gute für die Mission in Peking

    Liebe Grüße

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