Seit der Rotschopf mit den virtuos koordinierten Fohlenbeinen und der ungeheuerlichen Ballbeschleunigung in der Tennisszene aufgetaucht ist, zählt unsere Familie zur wachsenden Gruppe der Fans und Bewunderer. So vieles wurde offensichtlich richtig gemacht in der Karriereplanung des gleichermaßen charismatischen wie bodenständigen Hochkaräters.
Jetzt steht Jannik auf der obersten Stufe des Welttennis, hat in New York gerade seinen zweiten Grand-Slam Titel geholt. Fast zeitglich gelang seinen Anwälten und Experten die Abwendung einer Sperre wegen zwei positiven Dopingproben vor einem italienischen Gericht.
Ist „unsere“ Nummer eins damit völlig reingewaschen?
So schwer es mir fällt, möchte ich mich nicht um eine Einschätzung der heiklen Situation herumdrücken, es geht nicht nur um Image und Karriere des sympathischen und top gemanagten Weltsportler, sondern auch um Fairness.
Steht die Fangemeinde weiterhin geschlossen hinter ihm, was lassen seine Profi-Kollegen, Kolleginnen und Legenden hören, wie wurden vergleichbare Fälle behandelt?
Ist John McEnroe, zu diesem Thema eine ernstzunehmende Instanz? Oder sind seine Aussagen eher in die Kategorie „Beschwichtigung auf Basis einer ebenfalls kontaminierten Vergangenheit“ einzureihen? Ist es ausgerechnet Kyrgios, der schon so oft mit Verhalten und Aussagen daneben gelegen ist, der diesmal richtig liegt, wenn er eine harte Bestrafung seines Konkurrenten fordert?
Die momentan gesperrte Simona Halep empfindet sich im Vergleich zu Sinner unfair bestraft, übersieht dabei aber die unterschiedliche Schwere der Vorwürfe und das Gewicht der Dopingspuren. Federer und Nadal geben sich diplomatisch unverbindlich, Djokovic sieht genauso wie Medwedew die Gefahr, dass anderen Sportlern, die weniger Finanz- und Expertenpower im Rücken haben, benachteiligt sein könnten.
„Was wirklich war, wissen nur Sinner und sein Team!“ bringt Medwedew die ambivalente Stimmung auf den Punkt.
Für Hardcore-Sinner Fans besteht keine Frage, da war nichts, Sportart und Nation möchten endlich Gras über der Sache…! Genauso war auch die Stimmung in Norwegen im Fall von Therese Johaug. Von der Lippencreme, die 2016 die Clostebol-Spuren in den Proben der Langlauf-Ikone erklären sollten, blieb trotzdem ein bitterer Nachgeschmack. Aber auch eine, vom Internationalen Sportgerichtshof auf 18 Monate verlängerte Sperre des nationalen Spruchs.
Meine Begeisterung für Tennis und den jungen Helden aus Sexten ist riesig, trotzdem wäre ich irritiert von der Zurückhaltung der internationalen Dopingagentur WADA, wenn sie den Fall nicht doch noch von Italien nach Lausanne vor den CAS bringen würde.