Toni Innauer

Skispringer mit langem Atem


 

Die Polen dominieren wie gewohnt den Sommer-Grand-Prix der Springer. Wisla, Hinterzarten und Courchevelle bestätigen sich allsommerlich als Veranstaltungs-Klassiker. Trotzdem träumt niemand mehr vom großen Skisprunghype bei Badetemperaturen und grünen Wiesen.

Aber es war ein Skispringer, der diesen Sommer vor zigtausend Zuschauern eine wahre Sportsensation lieferte.
Primoz Roglic, 2011 noch Skisprung-Juniorenweltmeister im Team, siegte bei der vielleicht schwierigsten Etappe der Tour de France. Er gewann den Abschnitt über das Dach der Tour, den 2642m hohen Col de Galibier. Der Slowene überrascht durch seine Kletterqualitäten und brillierte, vielleicht weniger überraschend, durch Mut und aerodynamisches Geschick beim Abfahren. Bis ich die Bilder seines Husarenrittes sah, hätte ich es für unmöglich gehalten, dass sich ein Mensch sogar hinter einem Fahrradrahmen vor den bremsenden Windkräften verstecken und gleichzeitig kräftig in die Pedale treten kann. Radsportexperten und Teammanager sind aufgerüttelt und beschäftigen sich staunend mit dem Werdegang des Newcomers. Primoz fährt erst seit fünf Jahren mit dem Rad! Wie ist so eine Steigerung möglich? Geht das mit rechten Dingen zu, bzw. was heißt das im Profiradsport? Müssen manche Vorstellungen über die Entwicklungszeit und die Trainingslehre für den Ausdauersport umgeschrieben werden?

Erst 2011 beendete er nach einem kapitalen Sturz auf der großen Letalnica in Planica seine Springerlaufbahn und stieg in den Sattel.

Etwas sarkastisch könnte man feststellen, dass er zumindest gewichtsmäßig keine Anpassungsschwierigkeiten im Straßenradsport gehabt hat. Gelenkigkeit, Gleichgewicht, das Verhalten im Fahrtwind, Bewegungstalent und Mut konnte er herüberretten aus seiner sportlichen Vergangenheit. Seine Muskelfaserstruktur war für einen Weltklasseskispringer wohl geringfügig zu langsam. Im Radsport aber dürfte seine jahrelang antrainierte Maximalkraft bei gleichzeitig geringem Körpergewicht und guten Schnellkraftwerten etwas Einzigartiges sein, das Insider ins Grübeln bringen wird.

Primoz Roglic hat seine sportliche Bestimmung gefunden. Sein Umweg über die Schanzen war offenbar ein lohnender.
Übrigens hat er zwei (noch) berühmtere Kollegen, die nach ihrer Laufbahn umgesattelt haben: Skifluglegende Walter Steiner aus der Schweiz wurde 2013 Seniorenweltmeister im Skilanglauf und unser Andi Goldberger verblüfft beim Dolomitenmann alljährlich als starker Bergläufer.

Ihr Toni Innauer

 

 

 

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