Foto: Toni Innauer privat
Im Titelsong des gleichnamigen Albums beschwört Bob Dylan 1964 einen fundamentalen Wandel der Gesellschaft herauf. Er fordert alle auf, ob Sänger, Schreiber, Senatoren und Abgeordnete, aber auch Eltern und Lehrer, der losbrechenden Dynamik nicht im Weg zu stehen. Seither hat sich vieles verändert und mehrfach gedreht, auch im Sport und in der Bedeutung, die dem Spitzensport von der Gesellschaft beigemessen wird.
An welchen Schrauben wird Corona in Gesellschaft und Sport drehen?
Festzuhalten ist: Der Sport verändert sich äußerst selten von innen heraus aus eigener Überzeugung und Kraft und mit Blick auf seine Grundwerte. Spitzensport war nicht nur im Nationalsozialismus ein Werkzeug, ein Spielball und willfähriger Gehilfe politischer Dynamiken und Verwerfungen.
Dylan besang seinerzeit die geistig-ideologische Aufbruchsstimmung der 68er.
Es dämmerte gerade eine radikale und weltweite Loslösung von alten rigiden Denkmustern, der spektakuläre Bruch mit der Kriegsgeneration herauf.
Der Sport bekam in diesen Jahren von deutschen Sozialkritikern, u.a. von Jürgen Habermas sein ideologisches Fett ab: Gerade eben war König Fußball noch als Vorbild für Tüchtigkeit und Willenskraft im Wiederaufbau gepriesen und im „Wunder von Bern“ als identitätsstiftendes Ereignis gefeiert und modellhaft gepriesen worden… schon wurde von der neuen Linken aus allen ideologischen Rohren auf das „Zwangssystem Leistungssport“ als „Paradebeispiel einer manipulierten und entfremdeten Arbeitswelt“ geschossen.
1976 reichten die Amerikaner die Olympischen Winterspiele als unverkäuflichen Ladenhüter weiter an das Olympische Komitee und Innsbruck erlebte die zweiten Heimspiele innerhalb kürzester Zeit.
Zur Zeit des kalten Krieges standen sich der kapitalistische Westen und der kommunistisch-sozialistische Osten auf allen Ebenen misstrauisch und feindselig gegenüber. In den Sportarenen prallte der Westen in einem Stellvertreterkrieg auf die politisch systematisch vereinnahmten und staatlich geförderten Sportsysteme Russlands und der DDR. Mit einer überraschend friedlichen Revolution setzten schließlich Glasnost, Perestroika, der Fall der Berliner Mauer und der Niedergang des Real-Kommunismus 1989 eine scheinbar endgültige Zäsur. Der Westen sah sich und vor allem seine Wirtschaftsauffassung als endgültigen Sieger im Ideologiematch und verkündete „das Ende der Geschichte“. Es folgte der Durchmarsch des freien Wettbewerbs in sämtlichen Bereichen. Der konsumgetriebene Wachstumskapitalismus entwickelt religionshafte Züge und immunisierte sich seither sektenhaft gegen alle Bedenken. Alles was sich fragend in den Weg der siegestrunkenen neuen Gestalter stellt, wird reflexartig mit dem Verweis auf das klägliche wirtschaftliche Scheitern hinter dem „eisernen Vorhang“ niedergebügelt. Im rücksichtslosen Wettbewerb sollen sich Egoismus und Vorteilsdenken wie durch Zauberhand wirtschaftlich segensreich für die Gemeinschaft auswirken. Der Geist ist unaufhaltsam aus der Flasche!
Auch im Sport waren raumgreifende Reformen mit einem Schlag möglich, zuvor waren sie vom Osten gnadenlos blockiert worden. Sogar Sportarten wie das Skispringen erhielten einen professionellen, kommerziell erfolgreichen Marktauftritt.
Der spektakulär inszenierte Showsport wuchs im Osten wie im Westen und mit Hilfe kommerzialisierungsfreudiger olympischer Lenker wie Antonio Samaranch zu einem riesigen Wirtschaftsfaktor. Olympia wurde in kurzer Zeit eine der wertvollsten Marken der Welt und der Leistungssport wieder einmal zum vorbildlichen Erklärungsmodell. Diesmal beispielgebend für eine Ideologie von Globalisierung, Markt, Wachstum und vor allem Konkurrenz. Wer Bedenken aufkommen lässt, wird vom Mainstream als sozialromantischer Spielverderber abgestempelt. Dass die bewundernswertesten Leistungen – gerade im Spitzensport – von feinst gestrickten Kooperationen und gegenseitigem Vertrauen getragen werden, passt nicht ins Bild einer Ellbogengesellschaft!
„Schneller, höher, stärker“ bezieht sich nun auf Umsatzsteigerungen, Einschaltquoten und Transfersummen. Auch und gerade im Sport, allen voran im Fußball werfen Vereine, Konzerne, Oligarchen und Scheichs mit unmoralisch hohen Summen um sich. Vielen der anderen Sportarten entzieht der kommerzielle Sog des König Fußball den wirtschaftlichen Nährboden.
Es brauchte schon Corona um den Blick auf „Absurdistan“ in Sport und Geschäftswelt zu schärfen? Man kann sogar erklären, warum Kicker oder Spekulanten bis vor Kurzem das Tausendfache einer Krankenschwester verdienten, anständig finden kann man es aber nicht.
Mit Corona steht die Welt vor einer gemeinsamen Herausforderung und hoffentlich auch vor einer Neubewertung und Transformation. Gerade noch war skrupellos narzisstisches Gebaren als Ausdruck von Durchsetzungsfähigkeit salonfähig, jetzt passt es nicht mehr.
Man erkennt, dass viele Kaiser nackt sind, auch in der Sportwelt.
Vielen Menschen bricht das komplette Einkommen weg, Regierungen schnüren ein Rettungspaket nach dem anderen. Großclubs wie Barcelona überlegen eine Zwangskürzung. Andere Fußballprofis verzichten mit nobler Geste auf 20% ihrer Einnahmen. Auf diesem Niveau, das selbst Casino-Generaldirektoren oder Nationalbankpräsidenten blass aussehen lässt, ist das eine leichte Übung und überfällig.
Trotzdem ist es ein vorbildhaft Zeichen aus dem Sport, der deutsche Wirtschaftsminister nimmt sich ein Beispiel und erwartet Ähnliches von Topmanagern geförderter Konzerne! Jetzt ist die Zeit über Solidarität aber auch Systemrelevanz, Einkommensscheren, Wachstum, Regionalität und vieles mehr nachzudenken. Die Zeit ist reif, mit mehr Augenmaß als 1989 nach zu justieren. Corona kann den gesunden Menschenverstand neu kalibrieren!
Ihr Toni Innauer
Der Artikel ist in der Tiroler Tageszeitung, Vorarlberger Nachrichten sowie in den Oberösterreichischen Nachrichten erschienen.
Sehr gut geschrieben, ich sehe das genauso.
Super Kommentar, vielen Dank für den Einblick. Jetzt verstehe ich auch was Bob Dylan mit seinem Song vermitteln will.
Guten Tag.
Ich hatte 2016 Hodenkrebs, und danach das Gefühl nicht mehr zu genügen. In der Firma wurde mir alles Zuviel und die Bitte weniger Stunden zu arbeiten mit dem Hinweis (aus der Chefetage) Hodenkrebs ist ein besserer Schnupfen heruntergespielt. Und selbst mit 56 Jahren zu spät (oder zu feig) um etwas zu verändern.
Im Oktober 2017 hatte ich einen (schweren) Arbeitsunfall. Absurd eigentlich wenn ich daran denke wie erleichtert ich war -mit Schmerzen und auf die OP wartend- wusste das jetzt die Veränderung kommt. Nach 14 Monaten Krankenstand und Ablehnung der Invaliditätspension musste ich wieder zu arbeiten beginnen. Ich suchte mir und fand im Betrieb eine Tätigkeit die mir Spaß machte und in Wiedereingliederungsteilzeit (20 Std) – vermeintlich – auch machbar war. Im Oktober 2019 hatte ich einen Zusammenbruch aufgrund von Herzrhythmusstörungen, die wie sich herausstellte vom Medikamentenkonsum kam der sich bei meiner Tätigkeit einschlich.
Seitdem bin ich wieder in Krankenstand und kann die Situation aus einer gewissen Distanz beobachten. Meine Frau ist in Betriebsurlaub und – wahrscheinlich – in Kurzarbeit und hat einstweilen die 24 Std Pflege ihrer Mutter übernommen.
Mein Gefühl das ich bei der Beobachtung der Situation habe ist, wie wenn jemand mit seinem Daumen auf die Welt drückt und uns zappeln lässt und uns sagen will das die Menschheit doch nicht alles kann.
Mir ist schon sehr bewusst das es bei manchen um Existenzen geht.
Aber die vermeintlichen Macher in der Welt und in meinem Umkreis jetzt um den Staat (den manche nur als Bremser und Behinderer sahen) und die Solidarität rufen zu hören bereitet mir eine gewisse Genugtuung. Und Leute, die kaum in Urlaub gehen konnten weil sie so unabkömmlich waren, plötzlich nichts zu tun haben weil sie ein viel kleineres Rädchen waren als sie war haben wollten.
Das wir bei dem Spiel, immer das neueste – immer das beste – immer am weitesten, oft (auch aus finanziellen Gründen)nicht mitgespielt haben und wir jetzt auf relativ soliden beinen stehen, bereitet mir doch auch eine gewisse Genugtuung.
Darum spricht mir der Artikel oben aus der Seele und ich hoffe das sich manches auch zum Guten verändert.
Danke für solche Artikel und alles Gute, Josef Hubauer