Toni Innauer

Hyvä hyppy (guter Sprung)

Hyvä hyppy (guter Sprung)

Foto: Toni Innauer privat

 

 

Im eisigen Ruka am Polarkreis qualifizierte sich kein Einheimischer für den Finaldurchgang. „Bester Finne“ war Arrti Aigro, ein talentierter 22jähriger Mittrainierer aus Estland. Der Vorspann des finnischen Fernsehens zeigte hyviä hyppyjä aus der Glanzzeit von Janne Ahonen und Matti Hautamäki.

 

Wie seltene Nordlichter spuken nur noch flüchtige Schatten der stolzen finnischen Skisprungseele im ehemaligen Vorzeigeland herum. Noch vor wenigen Jahren holte die ganze Skisprungwelt Trainer aus dem hohen Norden. Wie ihre Vorväter, die den Sport als Auswanderer nach Übersee brachten, landeten die Skisprunglehrer in den USA, in Japan und, wie Mika Kojonkoski, über Österreich und Norwegen zuletzt sogar in China. Zuhause wurde mittlerweile die kritische Masse an Popularität, Lobby, Kultur und Erneuerungskraft unterschritten. Auch die Chance, sich am Zopf des immer populärer werdenden Frauenskispringens aus dem drohenden Desaster zu ziehen, wurde verpasst.

 

Skispringen gehört (für mich), wie die Sauna, zur finnischen Identität. Kankkonen, Puikkonen, Nykänen, Nieminen, oder Ahonen; ohne diese klingenden Namen, ohne die markante Flagge und exotische Sprache sind Bild und Historie unseres Sportes nicht komplett. Es fehlt etwas Essentielles.

Wie schnell doch eine fein gewobene Kultur verspielt sein kann und sich die Jungen kaum mehr daran erinnern, geschweige denn, mit deren Werten, Zielen und Heroen zu begeistern sind…! Ist die Glut des gemeinsamen regionalen Lagerfeuers zu schwach, wird der Sog gleichmachender globaler Strömungen prägend.

 

Der Gedanke verdichtete sich in einem Franchise-Lokal in Kuusamo, das – eins zu eins – in Michigan, Dornbirn oder Bratislawa stehen könnte.: Burger, Fisch & Chips auf der Speisekarte, das Bier eines globalen Großkonzerns verdrängt das heimische „Olut“. Neben den  Baseball- und Basketballbildern hängen allerhand Plastik-Imitationen an den Wänden. Auf den Großbildschirmen agieren die Stars aus Premier-League, Serie A, NHL und Snooker, eine Bowlingbahn rumpelt vor dem Eingang zur bunt schillernden Spielhölle. Diese global getestete und optimierte Mischung aus Anregung und Instant-Gemütlichkeit ist bei -20° Außentemperatur und Sonnenuntergang um 14.30 eine verlockende und verhaltensprägende Alternative.

 

Finnlands Weg als „Skisprungnation“ ist ein erstaunliches Beispiel für die Geschwindigkeit von Umbrüchen in modernen Gesellschaften. Man kann solche Prozesse teilnahmslos betrachten, mit Einfallsreichtum dagegen halten oder einfach ein wenig traurig darüber sein, wie lokale Besonderheiten und kulturelle Vielfalt schleichend verschwinden.

Ihr Toni Innauer

One thought on “Hyvä hyppy (guter Sprung)

  1. Anton Zapf

    Lieber Toni,
    ein sehr später Kommentar zu Deiner Beschreibung des Niedergangs des finnischen Skisprung
    Sports und des Sogs der gleichmachenden globalen Strömungen, der sogar eine nordische Nation
    am Rande Europas wie Finnland erreicht, hat mich tief berührt. Ich kann Deine eloquenten
    Ausführungen sehr gut nachvollziehen, da ich über Jahrzehnte währende Erfahrungen in diesem
    schönen Land machen durfte, sowohl als Dirigent als auch als Skispringer. Von Beginn an empfand
    ich eine tiefe innere Beziehung zu diesem Land.
    Meine erste Reise nach Finnland war 1987. Ich war von einem Kommilitonen unseres
    Kapellmeister Studiums in Stuttgart, Olavi Nieminen, der leider schon verstorben ist, zu einem
    Konzert mit der Philharmonie in Lohja eingeladen worden. Ich hatte vorher anstrengende
    Symphonie Konzerte in Krefeld und fühlte mich durch eine fiebrige Erkältung geschwächt und war
    nahe daran, das Konzert abzusagen, entschied mich – Gott sei Dank – dann doch für die Reise.
    Ich werde nie den Moment vergessen, als ich am Flughafen Helsinki das erste Mal finnischen
    Boden betrat: es war als würde ich nach Hause kommen. Unmittelbar setzte ein Gefühl der
    Regeneration, des ZurRuhekommens von den anstrengenden zurückliegenden Wochen ein.
    Auf der Fahrt vom Flughafen in die City fiel mir der angenehm relaxed fließende und spärliche
    Autoverkehr auf, ganz gegensätzlich zur weit verbreiteten Raserei auf deutschen Straßen.
    Mehrere Jahre später, 1993 kam ich dann zum zweiten Mal nach Finnland, als Gastdirigent der
    Finnischen Nationaloper Helsinki für Mozarts FIGARO. Zunächst noch im alten Opernhaus, dann
    ab 1994 im wunderbar am Meer gelegenen neuen, weißen Ooperatalo, der Suomen
    Kansallisooppera. Vermutlich weltweit das einzige Opernhaus mit einer Sauna oben im 6. Stock. Da
    kam es schon vor, dass man nach einer Orchesterprobe mit Instrumentalisten plötzlich ohne großen
    Abstand gemeinsam schwitzte.
    Dieses Engagement als ständiger Gastdirigent in Helsinki währte knapp drei Jahre, bis es durch
    einen Intendantenwechsel ein Ende nahm, was mich bis heute traurig stimmt.
    Was mir in Finnland von Anfang an auffiel, war die Tatsache, dass Sport im Allgemeinen und
    natürlich der nordische Skisport im Besonderen sehr hoch geschätzt wurde, im Gegensatz zu
    Deutschland auch im Bereich der Klassischen Musik. So hatte 1994 – als ich gerade nach 25 Jahren
    Abstinenz vom Skispringen mein Comeback auf der Schanze hatte – der damalige Intendant der
    Finnischen Nationaloper Walton Grönroos die Idee, in Lahti ein Konzert mit dem dortigen
    Orchester zu organisieren und anschließend Flüge von der Schanze zu wagen, also klassische Musik
    und Sport miteinander in Verbindung zu bringen – was eigentlich bestimmend für mein Leben war
    und ist. Eine große Boulevardzeitung sollte damals darüber berichten. Leider kam es dann nicht
    dazu.
    Zum Skispringen kam ich in Finnland erst, als ich 2001 zum ersten Mal bei der IMC (International
    Masters Championship in Skijumping) in Rovaniemi/Lappland teilnahm. Damals machte ich meine
    ersten Erfahrungen, mit sehr viel Wind zu springen. Die Eingeweihten wissen, dass die Schanzen in
    Finnland großteils auf kleineren Hügeln mit steilen Anlauftürmen liegen, erbarmungslos den
    Winden ausgesetzt, so auch in Rovaniemi.
    Deshalb starteten unsere Wettkämpfe auf der K90 um 8Uhr morgens, weil da der Wind noch etwas
    ruhiger war.
    Zwischen unseren IMC Wettkämpfen fanden damals auch die finnischen Meisterschaften der Profis
    statt.
    Um mehr Erfahrung auf größeren Schanzen zu bekommen, meldete ich mich als Vorspringer für
    diesen Wettkampf. Ich war damals stolz darauf, mich mit einem der grössten Skispringer aller
    Zeiten, Janne Ahonen und auch Hautamäkki und Co. in einer Umkleidekabine für den Bewerb fertig
    machen zu dürfen. Der Wettkampf wurde dann wegen sturmartigem Wind zunächst auf der K90
    mehrfach verschoben, dann auf die K60 verlegt – und schließlich ganz abgesagt, nachdem ich
    jeweils schon angeschnallt am Balken als Vorspringer bereit war. Gott sei Dank – weil ich damals
    gar nicht über die Erfahrung verfügte, bei heftigem Wind sicher von einer größeren Schanze zu
    springen…
    Das nächste Finnland Abenteuer kam dann 2008 mit der IMC im lappländischen Taivalkosky.
    Inzwischen war ich zusammen mit meinem Skisprung Freund Klaus Günther ins Board der IMC
    gewählt worden und wir hatten schon 2004 (Reit i.Winkl) und 2007 (Hinterzarten) erstmals die
    IMC in Deutschland organisiert. In Taivalkovski habe ich damals erstmalig ein klassisches Konzert
    zur Eröffnung der IMC mit dem Motto Peace on earth in der dortigen Kirche organisiert, mit
    Gesangssolisten aus Helsinki und dem Kainu Chamber Orchestra aus Lappland. Neben meinen
    Skisprungsongs und einer eigenen Uraufführung Peace on earth, komponiert und gewidmet dem
    kurz vor den Spielen verstorbenen Sohn des Ausrichters dieser Spiele, dem Weltmeister von 1978,
    Tapio Räsainen, dirigierte und spielte ich Werke von Händel, Sibelius, Pacius und Bach. Die Kirche
    war bis auf den letzten Stehplatz gefüllt, unter den Zuhörern auch Matti Nykänen, der bei diesem
    Sport Event 17 Jahre nach seinem Karriereende sein Comeback auf der Schanze wagte, unter großer
    Medienbeachtung. Erstaunlicherweise hat Matti damals auf der K50m Schanze nur den 5. Platz
    belegt, auf K30 hat er gesiegt, die K75 ist er gar nicht gesprungen. Er kündigte damals aber an, dass
    er bei der nächsten IMC 2009 in Ruhpolding teilnehmen wolle und dann auch die K 90 springen
    werde. Er kam zwar nach Ruhpolding und man liess ihm bei den Siegerehrungen Medaillen
    überreichen. Er stand aber (wieder) unter Drogeneinfluß und an Skispringen war nicht zu denken.
    Meine nächste (und letzte) Begegnung mit Matti Nykänen war bei unserer IMC 2011 in Harrachov.
    Wieder kam er – wie in Taivalkovsky – gesund aussehend, in Begleitung einer neuen, hübschen und
    intelligenten finnischen Frau, mit der ich, da sie im Gegensatz zu Matti gut English sprach,
    Gelegenheit hatte, mich länger zu unterhalten.
    Damals hatte ich die große Hoffnung, dass Matti mit der Rückkehr zum aktiven Skisprung Sport
    und in der neuen Beziehung seine Alkohol – und Drogenprobleme in den Griff kriegen würde.
    Matti war wie viele genial veranlagten Menschen ein Grenzgänger, oft nahe dem Abgrund.
    Leider hat diese Hoffnung getrogen. Matti ist die folgenden Jahre aus der internationalen Masters
    Skisprung Szene verschwunden und man hörte hierzulande nichts mehr von ihm. Ich nahm an, in
    der neuen Beziehung hat er wohl zurück in die Lebensspur gefunden – auch ohne seinen Sport.
    Um so mehr erschütterte mich die Nachricht von seinem plötzlichen Tod auf der Rückreise von der
    IMC 2019 in Vikersund /NOR. Ich stand damals mit verschiedenen finnischen Journalisten in
    Verbindung; ein großes Interview, das Vesa Mäkinen mit mir über einen längeren Zeitraum,
    beginnend 2019 in Vikersund führte, kam im Helsingin Sanomat im Kulturteil zu Beginn der
    WWMG Innsbruck Anfang 2020 in Helsinki heraus (https://www.hs.fi/kulttuuri/art-
    2000006363787.html).
    Dabei fand ein Thema das besondere Interesse: wie ich mich 2018 durch das Skispringen von einem
    burnout befreien und eine Depression überwinden konnte. Dies scheint in Finnland, wo die
    Selbstmordrate ziemlich hoch ist, von besonderem Interesse zu sein.
    Durch das Erleben eigener Abgründe fühlte ich mich dem Menschen Matti Nykänen sehr nahe.
    Gerne hätte ich für ihn ein fairwell Konzert auf Vorschlag eines finnischen Journalisten zu seinen
    Ehren dirigiert, leider ist es bislang dazu nicht gekommen.
    Zurück zum Beginn meiner Ausführungen (Dezember 2021):
    inzwischen hat sich ja zum Ende der Saison hin die Leistungskurve im finnischen Skispringen
    erheblich verbessert. Das macht große Hoffnung, dass dieses traditionelle Skisprungland wieder in
    den Kreis der dominierenden Skisprungnationen zurückkehren kann. Mir ist es ein Herzenwunsch.

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