Toni Innauer im ausführlichen Interview mit SPORTNET.AT. Der Skisprung-Philosoph über die alpine Macht im ÖSV und warum die Skisprungkultur in Gefahr ist.
Skisprung-Legende, Vortragender, Philosoph – Toni Innauer verstand es immer schon Themen nicht nur aus dem Blickwinkel eines gewöhnlichen Experten zu betrachten. Sondern mit der Weitsicht eines Menschen, der Entwicklungen über Jahre beobachtet. Das bewies er als langjähriger ÖSV-Sportdirektor, wo er oft über den rot-weiß-roten Tellerrand blickte und für das Skispringen so wichtige Regelreformen wie die BMI-Regel durchsetzte.
Kritisch und durchdacht ist auch Innauers Meinung zum großen Umbruch, der sich bei Österreichs Skisprungteam abgespielt hat. Nach den Abschieden von Alex Pointner, Thomas Morgenstern, Martin Koch und Wolfgang Loitzl und dem Form-Tiefflug von Gregor Schlierenzauer und Andreas Kofler haben unter der Regie von Heinz Kuttin, Michael Hayböck – zuletzt drei Siege in fünf Tagen – und Stefan Kraft das Ruder übernommen. Andere Nationen wie Norwegen, Slowenien und Deutschland haben uns mannschaftlich dennoch ein- und überholt.
Warum sich der ÖSV das teilweise selbst zuzuschreiben hat, Pointner mit seiner Kritik am ÖSV im aktuellen SPORTMAGAZIN recht hat und warum er sogar die spezielle Skisprungkultur in Gefahr sieht, erklärt Innauer im großen Interview.
SPORTNET: Österreich hat fast ein Jahrzehnt das Skispringen dominiert. Trotz der Siege zuletzt von Hayböck, hat man die mannschaftliche Überlegenheit eingebüßt. Warum ist die Goldene Ära der Superadler vorbei?
Die totale Überflieger-Zeit scheint wirklich zur Neige zu gehen. Es ist ja eine neue Generation, die jetzt die Medaillen am Kulm geholt hat. Ein Bogen von so einer überdimensionalen Leistungsstärke muss auch irgendwann zu Ende sein. Das ist logisch. Andererseits gibt es Gründe, welche die ich nennen will, andere die ich nicht nennen will, das verlangen die Professionalität und Ehrenkodex.
Es ist aber schon erstaunlich, dass wir trotz der Ende dieser Ära als Skisprungnation nicht zerbröseln. Sondern, dass trotzdem wieder eine leistungsstarke Teamleistung entstanden ist aus bodenständig guter Arbeit. Das ist erfreulich. Denn natürlich hat Heinz Kuttin ganz andere Voraussetzungen und einen kleineren Talentepool zur Verfügung. Aus meiner Sicht hat er es in einer schweren Situation geschafft, das Ding zusammenzuhalten und trotz eines riesigen Drucks sehr respektable Erfolge, die nicht so zu erwarten waren. Bei der Tournee und Skiflug-WM haben wir mehr geschafft, als zu erwarten war. Durch eine gute handwerkliche Trainerarbeit.
Viel wird vom Know-how-Transfer durch Trainer wie Alex Stöckl oder Werner Schuster gesprochen. Haben uns Nationen wie Norwegen oder Deutschland, wenn man die letzten Ergebnisse bei den Teambewerben hernimmt, nicht sogar schon überholt?
Diese beiden sind außergewöhnlich gute Trainer, die mit ihrer Ausbildung und Persönlichkeit höchsten Standard repräsentieren. Erfahrene Ex-Springer, die im Skigymnasium lange Nachwuchsarbeit leisten und ohne großen Druck Erfahrung sammeln konnten, bis sie sich sehr stabil gefühlt haben. Sie sind besser ausgebildet als der Rest der Welt, weil sie über die Trainerausbildung hinaus eine universitäre Ausbildung genossen und damit eine größer Breite als die Kollegen haben. Stöckl und Schuster verfügen über eine Methodenvielfalt, einen Reflektionsgrad, und Vielschichtigkeit, die sie überlegen machen kann.
Alex Pointner kritisiert im aktuellen SPORTMAGAZIN, man will die Größe des Skispringens nicht mehr im ÖSV. Dem ÖSV sei nicht unrecht, dass die Skispringer im Vergleich zu den Alpinen wieder etwas an Bedeutung verlieren. Geben Sie ihm recht?
Alex Pointner hat mit seiner Kritik am ÖSV recht. Er benennt da eine Dynamik, die seit Jahrzehnten da ist und die Österreich auch von Norwegen oder Deutschland unterscheidet. Das hat damit zu tun, dass wir den Skitourismus, die Skifirmen im Land haben und die Alpinlobby dadurch viel stärker ist als in anderen Ländern. Als erfolgreiche Sprunglaufsparte hast du es deshalb in Deutschland und anderen Ländern leichter. Selbst wenn Skispringen die besseren Einschaltquoten weltweit und über das Jahr hat, steht Ski Alpin immer eine Stufe höher. Es ist eine alte Geschichte, die uns aber auch immer wieder angestachelt hat, besser zu werden. Weil ausrasten konnten wir uns nie.
„Die Alpinlobby ist viel stärker als in anderen Ländern. Als erfolgreiche Sprunglaufsparte hast du es deshalb in Deutschland und anderen Ländern leichter.“
Sie haben damals als ÖSV-Sportdirektor viele Kämpfe deshalb ausgefochten.
Ja, an der Seite eines Paul Ganzenhuber, Ernst Vettori, aber vor allem Alex Pointner. Dem ich dahingehend möglicherweise gefehlt habe, als ich zurückgetreten bin.
Alex sieht das alte Kräfteverhältnis langsam wieder hergestellt. Tut es Ihnen weh, nachdem Sie die Skisprung-Abteilung mit so viel Einsatz größer gemacht haben, dass sie von der Bedeutung nun wieder schrumpft?
Es liegt auch an systematischen Besetzung der Kräfteverhältnisse vom Präsidium beginnend, Vize-Präsidenten, Landespräsidenten und so weiter ist eine Linie zu beobachten. Das schmerzt nicht, weil ich die Entwicklung so erwartet habe. Das war abzusehen.
Sehen Sie ihr Erbe in Gefahr?
Naja, mein Erbe steckt am Wenigsten im Vergleich zu den Alpinen. Sondern vielmehr im Skispringen selber. Das wird beim Skispringen ja auch gelebt. Und wir haben es schon gelebt als wir wenig Budget und Geld hatten. Diese wunderbare Kultur kann man den Springern nie wegnehmen. Von dieser geistigen Dimension im Skispringen lebe ich auch heute noch als Vortragender. Auch in der Wirtschaft wird erkannt und geschätzt, dass wir im Skispringen von Preiml angefangen einen ganz besonderen Zugang zum Leistungssport und Wettbewerb entwickelt haben. Diese Sparte war immer hochreflexiv, muss sich nicht ständig an anderen reiben, sondern hat für sich eine besondere Kultur und einen Anspruch an sich selbst entwickelt. Würde das verloren gehen, würde mich das mehr schmerzen.
Was macht diese besondere Skisprungkultur aus?
Skispringen ist aus der Ära Preiml geprägt von einem hohen pädagogischen Anspruch. Weil wir zusätzlich zur Trainerausbildung und Leistungsoptimierung den Anspruch gestellt haben auch Persönlichkeitsentwicklung zu leisten, es wurde viel überlegt in unserer Sportart. Und nicht alles für Erfolg oder Geld aufgegeben. Ein Beispiel, wir hatten damals ein Angebot für Traubenzucker Werbung zu machen. Wir haben uns unter Preiml sehr bewusst ernährt und er hatte das Gefühl, Zuckerwerbung passt gar nicht zu uns und hat cool abgelehnt. Das war eine Entscheidung für eine geistige Haltung und gegen die kommerzielle Ebene. Für so etwas sind immer wieder Leute notwendig, die das System nicht nur von innen kennen, sondern eine Ausbildung machen, die über das System hinausgreift. Dadurch haben sie einen erweiterten Reflexionsgrad.
Warum sehen Sie diese Kultur bedroht?
Wenn diese Leute im System „aussterben“, werden die Leistung und die Popularität vielleicht immer noch riesig sein, aber das Besondere dieser Kultur dünnt langsam aus. Ich sehe da eine Gefahr. Weil der Druck im Sport auch immer größer wird. Die Leute haben immer weniger Zeit sich mit Dingen zu beschäftigen, die nicht unmittelbar mit schnellem Erfolg zu tun haben. Dann wird alles unter den groben Hobel „gewinnen oder nicht gewinnen“ gelegt, statt geistig feiner an Nachhaltigkeit zu basteln.
„Wir haben einen Verlust der geistigen Dimension in allen Ebenen: in der Politik, in der Wirtschaft und auch im Sport.“
Ist diese Entwicklung aufzuhalten?
Es gibt auch eine Leistungskultur in der das Geistige Platz hat. Aber vielfach wird das als belastend und weltfremd empfunden. Aber genau das bräuchten wir auch in der Wirtschaft, da gehen wir dessen auch verlustig. Wir haben einen Verlust der geistigen Dimension in allen Ebenen: in der Politik, in der Wirtschaft und auch im Sport. Im Skispringen hatten wir beides: den Geist und den Erfolg. Das „durfte“ eigentlich nicht sein. In den Augen der Erfolgsmacher waren wir ja Sozialromantiker und Philosophen, das glaubt man sich nicht leisten zu können. Skispringen in Österreich hat jahrzehntelang bewiesen, dass beides möglich ist.
Mit Kraft und Hayböck haben wir wieder ein erfolgreiches Skisprungzimmer. Andererseits fehlt ihnen die mediale Strahlkraft eines Schlierenzauer oder Morgenstern. Kommt die noch, wenn Michael Hayböck solche Seriensiege feiert wie zuletzt oder sind diese beiden einfach nicht die Typen dafür?
Seriensiege sind natürlich immer eine gute Möglichkeit, um an Strahlkraft zu gewinnen. Andererseits ist natürlich nicht mehr dieser Zug an die Öffentlichkeit da, wie er von Alex im Übermaß inszeniert wurde – das sag ich ganz offen. Ich habe Pointex in meiner Zeit unterstützt aber immer wieder auch einzubremsen versucht. Der Medienhype hat sich verselbstständigt und ist damals manchmal über das erträgliche Niveau gestiegen. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Dieser Hype, der von Alex als Nebenziel auch ständig gepuhst wurde, wird so nicht mehr entstehen. Er hatte sein besonderes Talent dafür ausgelebt und auch sein Vorhaben, Wirtschaft, Medien und Sporterfolge synergetisch zu verknüpfen erfolgreich umgesetzt. Damit wurde viel Staub aufgewirbelt, in dem auch einige gehustet haben. Dieses Interesse haben Kuttin und Vettori nicht in diesem Ausmaß. Deshalb wird dieser extreme Hype nicht mehr entstehen. Nach den Superadlern ist diese Cooldown-Phase vielleicht auch notwendig.
Gregor Schlierenzauer hat die Saison nach enttäuschenden Ergebnissen vorzeitig beendet. Er war immer schon ein Tüftler, kann das unter Kuttin noch mehr ausleben. Alex Pointner hat oft versucht ihn da etwas zu bremsen. Hat Gregor vielleicht an zu vielen Rädchen gedreht?
Nachdem ich zuletzt nicht mit ihm gearbeitet hab, will ich das nicht öffentlich bewerten. Es mussten in einer Sportart wie Skispringen irgendwann auch bei ihm echte Probleme auftauchen, nachdem er so lange nie Schwierigkeiten hatte und nie schwere Verletzungen. Sind es Ermüdungserscheinungen oder eine Sinnkrise? Überall kann es unrund laufen, weil die Dinge zusammenhängen; ob physisch, psychisch, technisch oder indem man sich in einer extremen Arbeitshaltung und Erfolgsorientierung verbohrt und seine Lebendigkeit verliert.
„Nach den Superadlern ist diese Cooldown-Phase vielleicht auch notwendig.“
Die Skisprungsysteme sind jetzt sehr aggressiv und extrem. Beim Skifliegen hatte man vor allem diesen Eindruck.
Das größere Problem ist, meines Erachtens, dass die Flugsysteme so hyper-effizient sind. Dass schon der geringste Windeinfluss solche Weitenunterschiede produziert, vor allem auf Flugschanzen, dass es fast nicht zu glauben ist. So sind Wettkämpfe ohne Wind- und Gatereglement nicht mehr durchzuführen. Diese Regel hat das moderne Skispringen komplizierter gemacht aber gleichzeitig gerettet und zur Fairness beigetragen!
Es sitzen Profis in den Gremien, die sich gefälligst Gedanken darüber machen sollen, was man im Materialbereich entschärfen und zurücknehmen kann, um den aerodynamischen Wirkungsgrad zu brechen. Wenn sie nur ängstlich ihren nationalen Vor- oder Nachteil sehen, mit mehr oder weniger Medaillen, dann bleiben sie und die Flieger Spielball dieser Umstände und des Windes. Sie müssen die Sachen von außen beurteilen, dann können sie mutige und vernünftige Entscheidungen erkämpfen.
Das Interview (geführt von Christoph König) ist am 26.02.2016 auf Sportnet.at erschienen. Lesen Sie auch in der aktuellen Ausgabe des Sportmagazin, was Alexander Pointner zu dieser Thematik zu sagen hat.