Toni Innauer

Erfinderschicksale im Luftstrom der Zeit

Der Schweizer Skisprungpionier Andreas Däscher ist kürzlich im 97sten Lebensjahr verstorben. Seine Entdeckung, die Arme, statt im Flug nach vorne zu strecken, rückwärts an die Hosennaht anzulegen, revolutionierte den Sport. Der eigene Verband hatte dem 22-Jährigen die Anwendung als „regelwidrigen Marotte“ verboten. Da halfen auch die Beweise aus frühen Windkanalmessungen mit Ing. Reinhard Straumann nichts. Der Verband blieb stur und Däscher ereilte das Schicksal vieler Pioniere im Sport: Die Geschichte lieferte den Beweis für die Kraft der Idee, den Erfolg und die Medaillen sahnten aber andere ab. Die Finnen erkannten das Potenzial, nannten Däschers Technik frech „Finnen-Stil“ und überrumpelten, bei den kommenden Großereignissen bis 1958, die bis dahin unantastbaren und traditionsbewussten Norweger.

Bei Messungen im Windkanal, aber zufällig, entdeckte Heinz Wosipiwo 1975 die schnellere Anfahrtshocke mit seitlich nach hinten angelegten Armen. Weil „Wosis“ Arme in Vorhalte bei den langen Messserien ermüdeten, legte er sie zum Ausrasten in der Hocke auf den Rücken. In der Sekunde fiel der Zeiger für den Luftwiderstand überraschend und signifikant nach unten. Ein paar Wochen später schockte das DDR-Team die Sprungwelt bei der Skiflug-WM-75 am Kulm alle Anwesenden mit der tollkühnen neuen Hocke. Sein Teamkollege Rainer Schmidt gewann mit diesem Coup die Silbermedaille, Wosipiwo landete auf Rang sechs.

Als Jan Bokloev Mitte der Achziger den V-Stil in die Luft zauberte, verlangte sein Trainer, dass er auf der Stelle mit diesen Verrücktheiten aufzuhören habe. Der internationale Skiverband bestrafte ihn jahrelang „wegen Regelwidrigkeit“ mit drastischen Punkteabzügen bei den Haltungsnoten. Jan sollte nie eine Medaille bei Großereignissen gewinnen. Wir Österreicher stellten 1992 (Die Abzüge wurden aufgehoben) das Team auf Bokloevs V um und gewannen damit fünf von sieben möglichen Olympiamedaillen. Jan landete an 47. Stelle.

2010 in Vancouver stellte Simon Ammann die Fliegerwelt mit seiner Stab-Bindung ein weiteres Mal auf den Kopf. Er bescherte uns Österreichern die schmerzhafte Kehrseite des Erfinderschicksals. Jahre zuvor vom Erfinder Aichholzer in Kärnten entdeckt, von Sebastian Kaltenböck getestet und weiterentwickelt, wurde die Idee von uns als zu gefährlich eingestuft und (zu wenig spionagesicher) in einer Schublade versteckt.
In den Einzelbewerben holte „Simi“ zweimal Gold, uns düpierten Favoriten blieben zwei Bronzene und im Nachgang die bittere Bestätigung unserer Einschätzung, dass die Bindung das Verletzungsrisiko – wie befürchtet – empfindlich erhöht hat.

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